Einführung
Kinder sind wie Schwämme: Sie nehmen alles in ihrer Umgebung auf, besonders die Emotionen und Verhaltensweisen der Erwachsenen, die sich um sie kümmern. Die frühe Kindheitsentwicklung ist entscheidend für die Gestaltung der zukünftigen Persönlichkeit, Fähigkeiten und emotionalen Gesundheit eines Kindes. Bezugspersonen – meistens Eltern, Großeltern und auch die älteren Geschwister – spielen dabei eine zentrale Rolle. Aber was passiert, wenn diese Bezugsperson selbst ein Trauma erlebt hat? Welche Auswirkungen hat das auf die Entwicklung des Kindes?
Das Stichwort ist hier die Neurobiologie der Bindung – und wie sie sich auf die Traumaarbeit auswirkt. Denn die Heilung von Traumata wird unendlich viel schwieriger, wenn dem Betroffenen ein Schlüsselerlebnis fehlt – eine stabile, sichere Beziehung.
Wie arbeiten Therapeuten also mit Klienten, denen diese sicheren Beziehungen fehlen? Und was können wir darüber hinaus tun, wenn herkömmliche Gesprächstherapien nicht funktionieren?
Was ist ein psychologisches Trauma?
Ein Trauma ist eine emotionale Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis. Es gibt verschiedene Arten von Traumata, wie beispielsweise physische oder emotionale Misshandlung, schwere Unfälle oder der Verlust eines geliebten Menschen. Die Symptome eines Traumas können vielfältig sein, von Angst und Depression bis hin zu körperlichen Beschwerden und Schlafstörungen.
Das Trauma der Bezugsperson
Menschen können aus verschiedenen Gründen Traumata erleben. Oft sind es Ereignisse wie Missbrauch in der Kindheit, Gewalt in der Partnerschaft oder berufliche Überlastung. Solche Traumata hinterlassen tiefe Spuren und können das tägliche Leben stark beeinflussen. Häufige Traumata die Frauen und Männer in die Elternschaft mitbringen umfassen z.B. emotionale Vernachlässigung und chronischen Stress.
Die Verbindung zwischen dem Trauma der Eltern und der Kindesentwicklung
Insbesondere das Trauma der Mutter oder des Vaters kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben. Diese Einflüsse können emotionaler, psychologischer und physischer Natur sein.
Emotionaler Einfluss
Kinder, die mit traumatisierten Eltern aufwachsen, können eine gestörte emotionale Bindung und ein mangelndes Sicherheitsgefühl entwickeln. Diese Kinder fühlen sich oft unsicher und ängstlich, da sie die instabilen Emotionen ihrer Bezugsperson übernehmen.
Psychologischer Einfluss
Die psychologischen Auswirkungen auf das Kind können sich beispielsweise in Form von Angststörungen und Depressionen zeigen. Das Verhalten im sozialen Umfeld kann ebenfalls beeinflusst werden, da das Kind Schwierigkeiten haben könnte, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen.
Physischer Einfluss
Auch die körperliche Gesundheit des Kindes kann unter den traumabedingten Verhaltens- und Denkmustern der Eltern leiden. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und andere gesundheitliche Probleme sind keine Seltenheit. Langfristig kann dies zu ernsthaften gesundheitlichen Risiken oder Beeinträchtigungen führen.
Emotionale Auswirkungen auf das Kind
Eine gesunde emotionale Bindung ist für die Entwicklung eines Kindes essenziell. Kinder brauchen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, um ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln. Wenn ein oder beide Elternteile traumatisiert ist/sind, kann diese Bindung gestört sein, was zu Bindungsstörungen und anderen Verhaltensauffälligkeiten beim Kind führt.
Psychologische Auswirkungen auf das Kind
Kinder von traumatisierten Eltern neigen dazu, Angststörungen und Depressionen zu entwickeln. Sie erleben die Welt als unsicher und bedrohlich, was ihr Verhalten im sozialen Umfeld beeinflusst. Diese Kinder haben oft Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen und zu halten, da sie immer auf der Hut sind und anderen Menschen misstrauen.
Physische Auswirkungen auf das Kind
Die physischen Auswirkungen sind ebenso gravierend. Chronischer Stress kann das Immunsystem schwächen und zu gesundheitlichen Problemen wie Asthma, Allergien und Magen-Darm-Erkrankungen führen. Langfristig kann dies das Risiko für schwerwiegende Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
Der Kreislauf des Traumas
Trauma kann sich von Generation zu Generation weitergeben. Dieses Phänomen wird als transgenerationale Traumaweitergabe bezeichnet. Wenn eine traumatisierte Bezugsperson ihre unverarbeiteten Emotionen und Verhaltensmuster an ihr Kind weitergibt, kann dies zu einem Kreislauf des Leidens führen.
Werden wir konkreter: Die Ausgangssituation ist eine Mama mit beliebiger Traumaerfahrung während der Schwangerschaft. Die Mutter schüttet als Reaktion auf diese Erfahrung Kortisol aus, das von Baby durch die Plazenta aufgenommen wird. Das kann beim Kind Einfluss auf die HPA-Achse, das zentrale Nervensystem und das autonome Nervensystem haben.
Wenn die Mutter Schwierigkeiten hat, ihr Nervensystem zu regulieren, wird die sichere Bindungsbeziehung zwischen der Mama und dem Kind belastet. Die Auswirkungen auf das Kleinkind können eine Beeinträchtigung der kindlichen Selbstwahrnehmung oder der Fähigkeit Erfahrungen zu verarbeiten bzw. zu integrieren sein. Heutzutage weiß man auch, dass diese Mechanismen die epigenetische Expression verändern.
Wenn nun das Kind zum Erwachsenen wird, dessen frühe Bezugsperson eine unbehandelte Traumaerfahrung hatte, hat das die folgenden Konsequenzen: Das nun erwachsene Kind hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, nach einem selbst erlebten traumatischen Ereignis eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln. Dem Erwachsenen fällt es schwer, innere und äußere Konflikte von sich aus zu lösen und hat in den meisten Fällen ausgeprägtere Konflikte in Beziehungen. Er neigt dazu, an Menschen mit ungesunden Verhaltensmustern zu geraten, ist eher emotional distanziert (gefühlskalt) und hat eine größere Wahrscheinlichkeit an den Symptomen einer dissoziativen Störung zu leiden.
Strategien zur Unterstützung der Bezugspersonen
Das oben beschriebene Phänomen verstärkt sich mit jeder weiteren Generation. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist es wichtig, die Eltern und Kinder entsprechend zu unterstützen. Therapeutische Maßnahmen wie Trauma-Therapie und Selbsthilfegruppen können dabei helfen, das Trauma zu verarbeiten. Selbstpflege und Stressbewältigung sind ebenfalls essenziell, um die emotionale und psychische Gesundheit der Bezugsperson zu stärken.
Fazit
Dein Trauma als Elternteil kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung deines Kindes haben. Emotionale, psychologische und physische Einflüsse können das Leben des Kindes nachhaltig prägen. Es ist wichtig, dich und deine Kinder zu unterstützen zu lassen, um den Kreislauf des Traumas zu durchbrechen und eine gesunde Entwicklung zu fördern. Dein soziales Netzwerk spielt hierbei eine zentrale Rolle, indem es dir Unterstützungssysteme bereitstellt.
Zum Schluss möchte ich dir eines ganz klar sagen. Die Tatsache, dass du dich mit diesem Thema auseinander setzt und dir ein Bewusstsein für das Thema schaffst, heisst, dass du schon mitten im Durchbrechen des transgenerationalen Trauma-Teufelskreises bist. Du musst es nicht alleine schaffen! Elternschaft ist eine herausfordernde Aufgabe und dieser Artikel ist nicht dafür gedacht, dir ein noch größeres schlechtes Gewissen zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass das Wissen rund um Trauma und Traumadynamik die Welt und unsere Elternschaft verändern kann.
Trauma ist kein Urteil „lebenslänglich“. Es ist nie zu spät, sich seinen Dämonen zu stellen, um den Teufelskreis der Traumatisierung zu durchbrechen.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
1. Wie kann ich erkennen, ob mein Kind durch mein Trauma betroffen ist?
Achte auf Anzeichen wie Angst, Depressionen, soziale Rückzugstendenzen und körperliche Beschwerden. Es ist wichtig, sensibel auf das Verhalten deines Kindes zu reagieren.
2. Welche ersten Schritte kann ich unternehmen, um Hilfe zu suchen?
Wende dich an einen Therapeuten (gerne auch mich) oder eine Selbsthilfegruppe. Es gibt viele Organisationen, die Unterstützung für traumatisierte Eltern bieten und dir bei den nächsten Schritten helfen.
3. Wie kann die Schule meines Kindes unterstützen?
Lehrer und Schulpsychologen können dich ebenfalls begleiten, indem sie ein sicheres und unterstützendes Umfeld bieten. Offene Kommunikation zwischen Eltern und Schule ist dabei entscheidend.
4. Was sind die häufigsten Anzeichen eines intergenerationalen Traumas?
Häufige Anzeichen sind wiederkehrende Angstzustände, Depressionen, Schwierigkeiten in Beziehungen und chronische gesundheitliche Probleme, beispielsweise Schmerz- und Autoimmunerkrankungen.
5. Gibt es Selbsthilfemaßnahmen, die ich ergreifen kann?
Ja, Selbsthilfemaßnahmen wie Achtsamkeitsübungen, regelmäßige körperliche Aktivität und das Führen eines Tagebuchs können helfen. Am besten suchst du dir einen Traumatherapeuten oder traumasensibel ausgebildeten Coach, um die ersten Werkzeuge an die Hand zu bekommen. Auch auf Plattformen wie Instagram oder über ausgewählte Podcasts gibt es viel kostenlose und sehr wertvolle Inspiration und Aufklärung für dich. Meine hoch geschätzte Kollegin Verena König ist hier meine Herzensempfehlung an dich.